Sonstige Ergüsse der Literatioten

Literatioten-Mär

Ein Gnom zu sein, hat schon auch seine Vorteile, dachte sich Markus, genannt der Sieder, während er seinen Wanst in das neue Wams zwängte und es ordentlich zuknöpfte.
Er stülpte sich die Narrenkappe aufs Haupt und machte sich auf den Weg ins Tafelzimmer seines Landesfürsten Seehorst.

Sein Landesfürst war missmutig, er hatte schlecht geschlafen. Er träumte, er sei mit einer aufgeblasenen Riesenwurst in ein fernes Land aufgebrochen. Bei der Ankunft sah er eine Menge Menschen, die ihm zuriefen: "Welcome Lakehorst". Da zerplatzte die Riesenwurst und damit auch der Traum, Herrscher eines großen Landes zu werden. Im nachhinein ärgerte er sich noch über die Verniedlichung seines Namens zu "Lake"horst. Doch auch er sparte nicht mit diffamierenden Äußerungen über seine Mitarbeiter. Den Gnom nannte er oft abfällig "Köter", und besonders perfide, wenn er seinen Dialekt nachäffte: "Köder".
Doch dieser wusste, dass er seinem Herrn - Herrn, ha,ha! - eines Tage die Krone vom Kopf reißen wird. Bis es so weit sein wird, muß er noch den Deppen in seinem rot-weißen Wams für seinen Herrn machen. ...

Aus dem Küchentrakt, in den er nun einbog, drang schon der Lärm des morgendlichen Treibens: Klappern von Geschirr, Zischen von kochendem Wasser, Brutzeln, Messerwetzen, Schimpfen der Köchin, Kreischen der Küchenmägde. Da hellte sich seine Miene wieder auf, in den Sinn kam ihm die neue Magd Ilse, die seinem Herrn übereignet wurde, weil ihr Vater den fälligen Zehnt nicht aufbringen konnte.


Die letzten fünf Minuten des Endspiels der Literatioten gegen die chinesische Nationalelf von Toni Drexler

.. Abschlag vom Tor der Chinesen. Der Prinz, Libero der Chinesen, nimmt den Ball auf. Doch er hat ihn nicht lange, wie ein Schwarm stürzen MaBa, PeBe und ReLu auf ihn um ihm den Ball abzunehmen.
In einem gekonnten Transit, vorbei an SeKl und SaKi stürmt ReLu gegen den Nordwind aufs Tor der Chinesen zu.
Die Chinesen setzen nun ihren Drachenläufer ein, der, vorbei an ToDr, der Entdecker der Langsamkeit, bis vors Tor der Gegner stürmt. Und Schuß aufs Tor, doch EuBa hält und setzt zufrieden sein etruskisches Lächeln auf.
Abschlag, PeBe nimmt den Ball auf, doch wird sie sogleich vom chinesischen Tiger bedrängt und erleidet Schiffbruch mit Tiger. (Sie merken schon, liebe Hörer, ich verwende für die unaussprechlichen chinesischen Namen die deutsche Übersetzung).
GaDr kommt in Ballbesitz, wird gefährlich bedrängt durch die Go-Spielerin der chinesischen Manschaft. Sie kommt bis 10 Meter vors Tor, schießt, doch daneben. Schande! Sie wünscht sich an einen Ort fernab der Welt, wo keiner was von Fußball versteht.
Abschlag vom Tor der Chinesen. Die Mandelpflückerin nimmt den Ball auf, wird hart bedrängt von PeHo, dieser gibt ab an ChLu. Schuß aufs Tor - nein das darf doch nicht wahr sein, nur 10 cm über die Latte.
Es setzt eine Schweigeminute ein bei der man die Herzen hören kann. Abschlag vom Tor der Chinesen. ReLu hat den Ball, wird hart bedrängt vom Singvogel und vom riesigen Chinesen Akazie, doch souverän zieht er an beiden vorbei und schießt aus 20 Metern - Toor, Toor!
Und da kommt auch schon der Schlusspfiff. 1:0 für die Literatioten. ReLu hat es geschafft! Das Ende ist sein Anfang! In seinem Sommerhaus, später, in der Charing Cross Road, wird er die stattliche Prämie, wohl mehr als ein Milchgeld, einstreichen. Es sei ihm vergönnt. Danach kann er sich wieder ausführlich seinem Liebesleben mit Rosenroulett und Sterne erben frönen.
Wahrlich ein großartiges Spiel.


Staunen II (Rose Ausländer)

Hinter meinem Frohsinn
atmet die Trauer

Hinter der Trauer
steht mein Staunen

über Frohsinn und Trauer
und über alles
was war

was ist und
was sein wird


Gedicht über Sus scrofa domestica (Volksmund)

Der Eber ist stets mißgestimmt -
weil seine Kinder Ferkel sind.
Nicht nur die Frau -
die Sau -
alleine;
auch die Verwandtschaft - alles Schweine!!


Gedicht über die Geduld (Rainer Maria Rilke)

Habe Geduld
gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen
und versuch, die Fragen selbst
lieb zu haben, verschlossene
Stuben oder ein neues Buch,
das in einer fremden
Sprache geschrieben ist.
Forsche nicht nach Antworten,
die Dir nicht gegeben sind,
weil Du sie nicht leben kannst.
Und darum handelt es sich doch:
Alles zu leben.
Lebe jetzt die Fragen!
Vielleicht lebst du dann eines neuen Tages,
ohne es zu merken,
in die Antwort hinein.


Im Altwerden (Hermann Hesse)

Jung sein und Gutes tun ist leicht,
Und von allem Gemeinen entfernt sein;
Aber lächeln, wenn schon der Herzschlag schleicht,
Das will gelernt sein.

Und wem's gelingt, der ist nicht alt,
Der steht noch hell in Flammen
Und biegt mit seiner Faust Gewalt
Die Pole der Welt zusammen.

Weil wir den Tod dort warten sehn,
Laß uns nicht stehen bleiben.
Wir wollen ihm entgegengehn,
Wir wollen ihn vertreiben.

Der Tod ist weder dort noch hier,
Er steht auf allen Pfaden.
Er ist in dir und ist in mir,
Sobald wir das Leben verraten.






Die Schlange (Bodo Wartke)

Der Schlange
Wurde bange.
Schon lange war dat Leb'n
Ihr unangnehm.
Sie sagte voller Sorgen
Aufgrund dessen, was ihr dräute:

'Ob ich mich besser morgen
oder doch schon heute häute?
Hab ich überhaupt 'ne Wahl?
Ey, meine Schale wird schon schal...
Wobei ich nicht verhehle
Dass ich mich nicht selten quäle
Wenn ich mich, bei meiner Seele,
Aus meiner schalen Schale schäle...
Ooh, das wird wehtun!
Doch egal, ich muss es eh tun!
Die Zeit ist reif, nie mehr zu kneifen!
Schon werd ich mich an mir vergreifen
Um mir, ohne abzuschweifen,
Meine Schale abzustreifen!'

Sagte sie ? hat sich dann aber doch nicht getraut.
Sie kam halt nicht aus ihrer Haut.






Prager Popel (Reinhard Lutz)

Ganz Europa ächzt unter einer sibirischen Kältedecke. Auch Prag. Du wachst in einem Prager Hotelzimmer des Hotels Ametyst auf, dessen Luft extrem trocken ist. Deine Nasenschleimhäute, durch eine vor ein paar Tagen erwischte Schupfeninfektion noch angeschlagen, sind dick verkrustet. Pfeifend strömt die eingeatmete Luft über das verschorfte Gelände und sucht sich einen engen Weg durchs Nasenloch am ebenfalls porös ausgetrockneten Rachen vorbei in die Luftröhre. Durch leichtes Betasten der Nase versuchst du die Verstopfung zu lindern, bewirkst aber nur ein weiteres Verkleben von noch intakten Öffnungen, so dass nur noch ein Ausweg bzw. Hineinweg hilft: der Zeigefinger muss in die Höhle des Löwen. Langsam und vorsichtig sondierend schiebt er sich vor, sich ihm in den Weg stellende Hindernisse, wie zerklüftete Schorfreste und klebrige Schleimpfützen, bugsiert er durch leichte Drehbewegungen zur Seite, wo sie durch vorsichtiges Tatschen mit dem rundum schon gefestigten Material verbacken werden. Derart filigran sich bohrend und schiebend erreicht der Finger endlich das Ende der Fahnenstange sprich des Nasenloches, spürbar an der weichen glubberigen Masse, die die vordersten Fingerkuppenhautteile nässt und die erreichte hintere Nasenscheidewand in kühlen glatten Strukturen fühlen lässt. Die ganze Fingerkuppe ist nun ummantelt von krustigem, klebrigem, schleimigem Stoff, der nun durch genau abgestimmte Drehungen in beide Richtungen von seinen Verankerungen an der Nasenschleimhaut und der Nasenscheidewand gelöst wird. Wichtig ist nun, dass dieser Sekret-Fingerhut sich nicht mehr mit der Innenwand des Nasenloches verbindet, sondern vielmehr sich auf dem vorderen Fingerglied festsetzt, wozu es einiger exakter und vorsichtiger Manöver bedarf. Hilfreich ist dabei auch unterstützendes Naserümpfen, naseverbiegendes Grimassieren oder pressendes Ausatmen. Nun darf der Finger langsam wieder nach unten gezogen werden und mit ihm diese Umhüllung, die noch eine tentakelartige Verankerung in irgendeiner Nebenhöhle hatte, wie du erleichtert spürst, als mit dieser Verankerung ein Propfen sich löst und endlich freies Durchatmen ermöglicht. Staunend betrachtest du jetzt diese fingerhutgroße Miniplazenta, an deren oberen Ende eine kleine Nabelschnur baumelt mit einem blutigen Popel-Embryo dran.




Über die Erden (Martin Auer)

Über die Erden muaßt barfuß gehn.
Ziag d' Schuach aus, die machen di blind!
Dann kannst den Weg mit die Zechan sehn,
des Wasser, den Wind...

Sollst mit die Sohln auf d'Staner steign,
mit der nackerten Haut.
Wird dir die Erde a bald zeign,
daß s' dir vertraut.

Gspür des nasse Gras auf die Füaß,
gspür, wie trocken is des Staub.
Gspür, wie dich streichelt das Moos so süaß,
gspür, wie's knistert im Laub.

In'n Bach muaßt einesteign,
durchs Wasser muaßt auffegehn,
untern Wasserfall muaßt die stelln mit'm Gsicht in die Höh,
mit der Wangen auf d'Erden in die Sunn die legn.

Lieg ganz still, riach die Erden und gspür,
wie aufsteigt aus ihr a riesige Ruah.
Und dann ist die Erden ganz nah bei dir
und du waßt, du gehörst zu allem dazua.




Schlaflied (Paul Celan)

Mit den Faltern, mit der Nacht
laß mich ein in deinen Schlummer
über dir bin ich ein stummer
Atemzug der wacht,

daß der Spiegel nicht zu spät
deine Stunde krönt und kündet,
Mond dir dein Haar nicht entzündet,
wenn er kommt und weht,

unter deine Lider sieht,
was für Fremde sie verschweigen -
über dich muss ich mich neigen,
wenn er weiterzieht....

Wenn du dann die Hände hebst
und das Dunkel feierst, freier,
bin ich der flüsternde Schleier,
dem du fremd entschwebst.


Schneeglöckchen (Friederike Frei)


Ein Pflückchen Grün, berückend.
Zierliche Spinnerin Schneeglöckchen,
Unerhört vom tauben Harsch,
Ins Leisesein gezogen,
Ins Immerleisersein, ins
Knochenkalte Leblos: Da
Liegt der Anfang der Welt.







Der Moment (Rose Ausländer)


Ich habe nichts als
die Nacht aus
100 mal 100 Nebellichtjahren

Ich habe nichts als
die Stunde aus
60 mal 60 Sekunden

Ich habe nichts als den Moment

Der Moment ist meine Schöpfung
die Brücke von meinem
Staubgeist zum Sterngeist
Der Moment ist mein Flügel
zum Flügel des nächsten Moments

Ich habe nichts als den Flügel
Ich habe nichts als die Schöpfung
Ich habe nichts als den Moment







Vom Strohwitwer (Reinhard Lutz)


Es gibt es einen berühmten Strohwitwer, der sogar zum Heiligen ernannt wurde:
der Popensohn Strosak Kornewitsch Roggdanow lebte im 16. Jahrhundert auf der Ostseite der südrussischen Krimhalbinsel. Von eher bescheidenem Gemüt hatte er eine ehrgeizige herrschsüchtige Frau, so dass er tagein tagaus schuften musste, um ihren Ansprüchen zu genügen. Nur wenn seine Frau auf Besuch bei weit entfernten Verwandten war, konnte sich Strosak ein paar Wochen im Jahr seinem ureigentlichen Anliegen widmen: Fasten, Beten, Zwiesprache mit Gott.
13 Jahre nach seinem Tode wurde Strosak im Jahre 1573 von Patriach Gerstelnji XI., der damals Oberhaupt der Südost-ossetischen russisch-orthodoxen Kathostanten war, zum Heiligen erhoben.

Heiliger Strosak, bitt für uns!


Deutschsprachige Gelehrte aus aller Welt sind sich nicht einig, woher das Wort Strohwitwer ursprünglich kommt. Folgende Auslegungen gibt es:

Aus der Literatur:
In Goethes Faust I wird das Bild des Strohs auf einen zurückgelassenen Gatten angewandt:
Dort klagt Marthe über ihren Ehemann "Er geht stracks in die Welt hinein / Und lässt mich auf dem Stroh allein."
Stroh steht hier offensichtlich für Bett. So kann Strohwitwe(r) als Bezeichnung für einen zwar liierten, aber dennoch allein – statt im gemeinsamen Ehebett – nächtigenden Partner erklärt werden, der sozusagen auf dem Stroh, also im Bett, alleinstehend ist.

Aus der Medizin:
Erstmals wandte der ungarische Arzt Dr. Skalbil Ricrac (gesprochen: Ritsch-ratsch) Stroch die Strochial-operation Ende des 19. Jahrhunderts an. Dabei wird ein von Krankheit oder Dysfunktion befallenes Organ derart von dem umgebenden Gewebe isoliert, dass es zwar noch mit Nährstoffen versorgt wird, aber Nervenimpulse nur in geringstem Maße erhält.
Es entsteht somit eine Regenerationsphase für das arbeitslos gewordene Organ. Später wird dann die Trennung wieder aufgehoben.
Über Erfolge dieser bahnbrechenden Methode wurde leider nichts bekannt.
In Anlehnung an diesen hervorragenden Arzt wurde ein Mann, der von seinen zermürbenden Arbeiten durch die vorübergehenden Abtrennung von seiner Frau befreit wurde, Stroch-witwer genannt, was dann in der Folgezeit zu Strohwitwer verballhornt wurde.

Aus der Landwirtschaft:
Im 16. bis 17. Jahrhundert reisten Trupps von jungen Bauern durch das Land, die sich im Sommer auf großen Landgütern als Hilfsarbeiter verdingten. Oft halfen sie beim Sicheln des Korns. Die Frauen dieser Männer, die in den Heimatdörfern auf die Rückkehr ihrer Männer warteten, bezeichnete man landläufig als „Strohwitwen“.

Aus der Sagenwelt:
Einem frisch vermählten thüringischem Jungbauern wurde das geliebte Weib im Kindsbett genommen. Voll von Schmerz, Gram und Trauer stopfte sich der Jungbauer eine mannsgroße Strohpuppe, die er neben sich ins Bett legte und täglich ohne Folgen beschlief.
Seine Frau im Himmel oben war darob so erzürnt, dass sie beim Sancto Petro vorstellig wurde und ihm ihr Leid klagte. Unter der Bedingung, dass sie sich den Strohkopf der Puppe aufsetze, entließ sie Petrus wieder auf Erden zu ihrem Manne. Dass sein Weib nun Stroh im Kopfe hatte, störte den überglücklichen Bauern nicht, und er zeugte noch etliche gesunde Kinder.

Noch heute kann man in den Blondinen mit strohblonden Haaren deren Nachkommen erkennen.